Wie alles seinen Anfang nahm
Als ich Ernstl im Wiener SF-Klub kennenlernte, ich glaube 1961, kam er mir um sooo viel älter vor, erfahrener, gereifter. Dabei waren es kaum drei Jährchen, die uns trennten, im Alter von 18 allerdings eine kleine Ewigkeit. Mit sich führte er das Manuskript eines vollständigen Romans, den er über Bingenheimers "Transgalaxis" hatte veröffentlichen wollen; ein Erstlingswerk und wohl eine Jugendsünde, aber man stelle sich vor - ein Roman! Mit dabei hatte er auch die Kurzgeschichte Traumwelt, die es mir als zuständiger Redakteur von Pioneer, dem Clubzine der Austrotopia, sofort angetan hatte: diese Story wollte ich überarbeiten und im Pioneer veröffentlichen. - Der Grundstein für unsere spätere Zusammenarbeit. Dies - und auch die sich daraus entwickelnde Freundschaft - waren der Motor für gemeinsame Ziele.
Ernstl hatte einen Verkäuferberuf erlernt, ich kam direkt von der Schule, hatte den Militärdienst absolviert. Was wir beide brauchten, war eine Existenzgrundlage, vorzugsweise eine, die unseren Fähigkeiten und Neigungen entsprach.
Berufsziel Nr. l also - wir wollten Grafiker werden. Das heißt, ich wollte - und überredete ihn mitzumachen. Es brauchte nicht viel Überredungskunst: beide waren wir talentierte Zeichner, illustrierten fleißig für das Klubmagazin. Was wir aber nicht bedacht hatten, war, dass die Bewerber für die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt so um die 14 waren, wir dagegen wahre Methusalems - ausschlaggebend für unsere Ablehnung. Damit war die Idee für Ernstl gestorben, während ich an der Kunstakademie inskribierte (wo wir eigentlich hingehört hätten), allerdings nur für ein kurzes Intermezzo. Sechs Wochen lang Blätter zeichnen, dazu das Studium selbst finanzieren, war nicht gerade meine Vorstellung von jugendlichem Tatendrang. Da lag Berufsziel Nr. 2 und alles was damit verbunden war, Übersetzungen, Urheberrechtehandel, etc. doch viel näher.
Nun denn, Berufsziel Nr. 2 - den Amateurstatus als SF-Autor hinter sich lassen. Es war dies die Zeit der Kurzgeschichtensammlungen in Heftform, Jahre nachdem die ersten Magazine mangels Auflage gescheitert waren. Diese "Collections" angelsächsischer Provenienz, versteht sich, waren als Ergänzung zu den Heftromanen gedacht. Erstmals gelang es einem deutschsprachigen Autor, William Voltz, allerdings bereits arrivierter Verfasser von Kurzgeschichten und Romanen, eine Sammlung seiner Stories zu veröffentlichen - eine kleine Sensation! Damit war der Bann gebrochen - und es war ein Signal für Ernstl und mich. Wenn William Voltz das geschafft hatte, warum dann nicht auch wir?!
Ich schlug Ernstl vor, zu meiner Mutter in die Schweiz zu fahren, bei einer dort ansässigen Firma ein paar Monate zu jobben, um gutes Geld zu verdienen und nebenher unsere alten Stories zu überarbeiten und neue zu schreiben - mit dem Ziel, ein so umfangreiches Manuskript einzureichen, daß es für wenigstens eine Kollektion reichen müsste. Schon auf dem Heimweg machten wir einen Abstecher nach Passau, um uns Günter Schelwokat, dem Lektor des Moewig-/Heyne-SF-Programms vorzustellen - nun ja, vor allem in Erinnerung zu rufen ... Seine Überraschung war groß, zwei so junge Leute vor sich zu sehen, und wohl auch angenehm, ließ er uns doch wissen, dass er von unseren Geschichten angetan sei und schon eine Art Vorauswahl für einen Storyband - im Sonderformat! - getroffen habe ...
Das Problem Epsilon & andere Stories - das war unser Profidebüt, und eine weitere Sammlung mit den meisten der übrigen Geschichten sollte folgen, nämlich Treffpunkt der Mutanten & andere Stories. Für eine von Arnulf D. Krauß und mir herausgegebenen Anthologie schrieben wir die SF-Kriminalgeschichte Wenn trügerisch Besuch kommt ..., zwei unserer Stories ließ ich ins Englische übersetzen - und bot sie Frederik Pohl an, der sie in seinem Magazin für internationale SF veröffentlichte. Derweil machten wir uns an unseren ersten gemeinsamen Roman Die Psycho-Waffe - der prompt abgelehnt wurde. Schon als wir unsere Kurzgeschichten einreichten, bemängelte der Lektor die eher pessimistischen Grundtöne in vielen unserer Erzählungen: gewünscht war positives Denken. Also schickten wir ein Exposé für einen 4-teiligen Zyklus Das Galaktikum, als dessen 3. Teil der Roman integriert werden sollte - andernfalls wir ihn als Einzelwerk bei der Konkurrenz platzieren würden ... Wir bekamen grünes Licht für das Projekt, das 1999 beim Blitz-Verlag sein Wiedererscheinen feierte.
Es war noch nicht lange her, da hatte Ernst Vlcek einem anderen Verlag ein Manuskript für einen Kriminalroman angeboten - welcher abgelehnt worden war mit der etwas süffisanten Bemerkung, seine fabulierende Erzählweise (oder so ähnlich hatte er sich ausgedrückt) eigne sich eher für einen Liebesroman als für einen Krimi...
Wie richtig er damit doch lag - und wie falsch zugleich er sein Talent eingeschätzt hatte! In der Tat lag Ernstls Stärke weniger in Analyse, Planung, Konstruktion - vielmehr in überschwenglicher Fantasie, emotionaler Ausdruckskraft, bildhafter Darstellung. Während ich wie weiland Lessing (der Vergleich sei mir verziehen) aus Röhren und Druckwerk presste, schrieb Ernstl aus dem Bauch heraus - mit großer Leichtigkeit, drauflos, ließ seiner Fantasie freie Zügel - überarbeitungsbedürftig gewiss, jedoch Ausdruck eines echten Talents. Wie ein Goldschmied, handwerklich begabt zwar, der nicht etwa das kostbare Material sorgfältig einteilt, sägt und feilt, immer auf das erklärte Ziel zustrebend, statt dessen beseelt von einer natürlichen Schaffenskraft, auf das Edelmetall einschlägt, es walzt und verformt - einer intuitiven Vorstellung vom Endprodukt folgend, um dann erstaunt und befriedigt zugleich festzustellen, wie gut das Werk gelungen war. Und mit zunehmender Routine würde er druckreif schreiben, eine Überarbeitung sich erübrigen...
Diese emotionale Komponente in seinem frühen Schaffen gründete wohl auch auf einer Kindheit, ein Heranwachsen als Jugendlicher in sehr bescheidenen Verhältnissen, bereits konfrontiert mit den Härten des Lebens - und daran gewachsen. Sie findet Ausdruck in einigen unserer Stories wie Der Opfergang und Monster.
Dieses Talent, diese besondere Sichtweise, äußerte sich auch in seinen Zeichnungen. Brueghelsche Typen bevölkerten seine Illustrationen, er wählte die außergewöhnliche Perspektive statt der Front- oder Seitenansicht, den Fuß im Vordergrund, der große Zeh überdimensional gen Himmel gestreckt sich, zum Horizont verjüngend der Korpus eines Liegenden. Da fanden sich keine edlen, abgezirkelten Gesichtszüge über wohlgeformter Physis; dafür Knollennase, hervortretende Backenknochen, grobschlächtige Schädel. Seine Schreibweise wie seine Malweise: ausdrucksstark. Bildhaft. Einprägsam. Ein großes Talent, das sich damals bereits abzeichnete. Das von mir mitentdeckt worden war, von mir mitgefördert worden war, das meins bei weitem übertraf. Ich bin stolz darauf, sein Freund und Co-Autor gewesen zu sein, vor bald vierzig Jahren!
Helmuth W. Mommers, Mallorca 2000